Juli 19, 2023
Das österreichische Erwachsenenschutzrecht ist ein rechtlicher Rahmen, der vulnerablen (d.h. verletzlichen) Erwachsenen Schutz und Unterstützung bieten soll. Was dieser Schutzmechanismus genau bedeutet, erklärt die Anwältin Dr. Sabine Gauper im Interview.
Das österreichische Erwachsenenschutzrecht zielt darauf ab, die Autonomie und Selbstbestimmung erwachsener Menschen zu respektieren und gleichzeitig einen angemessenen Schutz vor Ausbeutung und Gefährdung zu gewährleisten.
Es bietet verschiedene Instrumente, um den individuellen Bedürfnissen und Situationen gerecht zu werden. Durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Beteiligung der betroffenen Person wird eine individuelle und angemessene Unterstützung gewährleistet.
Warum wurde dieses Gesetz entwickelt?
Das Gesetz wurde entwickelt, um Personen zu schützen, die aufgrund von geistiger oder körperlicher Beeinträchtigung oder altersbedingter Einschränkungen nicht in der Lage sind, ihre eigenen Angelegenheiten angemessen zu regeln.
Das Erwachsenenschutzrecht ist im 2. Erwachsenenschutzgesetz verankert. Es umfasst eine breite Palette von Maßnahmen, um den Schutzbedürftigen individuell gerecht zu werden. Der Schwerpunkt liegt dabei darauf, die Selbstbestimmung und Autonomie der betroffenen Personen zu wahren, soweit es möglich ist.
Das Erwachsenenschutzrecht umfasst daher verschiedene Aspekte, darunter die Vorsorgevollmacht, den gewählten Erwachsenenschutz, den gesetzlichen Erwachsenenschutz und den gerichtlichen Erwachsenenschutz.
Was ist eine Vorsorgevollmacht?
Eine Vorsorgevollmacht ermöglicht es erwachsenen Personen, im Voraus festzulegen, wer ihre rechtlichen und finanziellen Angelegenheiten im Falle ihrer eigenen Entscheidungsunfähigkeit übernehmen soll. Diese bevollmächtigte Person, auch Bevollmächtigter oder Vertrauensperson genannt, handelt im besten Interesse der betroffenen Person und trägt die Verantwortung, ihre Interessen zu wahren.
Die Vorsorgevollmacht bietet somit eine Möglichkeit, individuelle Wünsche und Bedürfnisse in Bezug auf die eigene Versorgung und Vermögensverwaltung festzulegen.
Was regelt der gewählte Erwachsenenschutz?
Der gewählte Erwachsenenschutz tritt in Kraft, wenn eine Person aufgrund von Alter, Krankheit oder Behinderung Unterstützung bei bestimmten Angelegenheiten benötigt. Hierbei wird eine Vertrauensperson gewählt, die die betroffene Person in rechtlichen, finanziellen und persönlichen Angelegenheiten unterstützt.
Diese gewählte Person kann ein Familienmitglied, ein Freund oder eine andere Vertrauensperson sein. Der gewählte Erwachsenenschutz ermöglicht es, dass die betroffene Person weiterhin an Entscheidungen beteiligt ist und ihre Wünsche und Bedürfnisse berücksichtigt werden.
Wann tritt der gesetzliche Erwachsenenschutz in Kraft?
Falls keine Vorsorgevollmacht oder gewählte Vertrauensperson vorhanden ist oder diese Maßnahmen nicht ausreichen, greift der gesetzliche Erwachsenenschutz. Dieser tritt automatisch in Kraft und umfasst die Bestellung eines gesetzlichen Vertreters, der die rechtlichen und finanziellen Angelegenheiten der betroffenen Person regelt.
Der gesetzliche Vertreter, oft ein Familienmitglied oder ein staatlich bestellter Erwachsenenschutzbeauftragter, handelt nach den Bestimmungen des Erwachsenenschutzgesetzes und vertritt die Interessen der betroffenen Person.
Worin liegt dann der Unterschied zum gerichtlichen Erwachsenenschutz?
In einigen Fällen kann es erforderlich sein, dass das Gericht einen gerichtlichen Erwachsenenschutz anordnet. Dies geschieht, wenn die betroffene Person aufgrund schwerwiegender Umstände nicht in der Lage ist, die eigenen Angelegenheiten zu regeln und keine geeignete Vertrauensperson vorhanden ist.
Das Gericht kann dann einen Erwachsenenvertreter bestellen, welcher entweder eine Einzelperson ist oder eine Organisation, die befugt ist, im Namen der betroffenen Person zu handeln.
Die Erwachsenenvertretung ist darauf ausgerichtet, die persönlichen und finanziellen Angelegenheiten der Schutzbedürftigen zu verwalten und zu regeln. Dabei sind stets das Wohl und die Wünsche der betroffenen Person zu berücksichtigen. Der gerichtliche Erwachsenenschutz stellt sicher, dass der Schutzbedürftige angemessene Unterstützung erhält und seine Rechte gewahrt werden.
Werden die Betroffenen auch in Entscheidungen eingebunden?
Das Erwachsenenschutzrecht wird von geschulten Fachkräften, wie zum Beispiel Sachverständigen und Gerichten, umgesetzt. Die betroffene Person hat das Recht, ihre Meinung zu äußern und an Entscheidungen teilzuhaben. Ein besonderer Fokus des österreichischen Erwachsenenschutzrechts liegt auf dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Dies bedeutet, dass jede Maßnahme im Hinblick auf den individuellen Bedarf und die Erfordernisse der betroffenen Person angemessen sein muss. Das Gesetz sieht vor, dass die Interessen und Wünsche der betroffenen Person Vorrang haben und dass nur in Ausnahmefällen restriktive Maßnahmen ergriffen werden dürfen.
Danke für das Interview!
Dr. Sabine Gauper ist externer Servicepartner von vidahelp und bietet rasche Lösungen bei Rechtsproblemen; für vidahelp Mitglieder zu einem ermäßigten Stundensatz.